von Günter Dworek zur Beisetzung am 30. September 2017
Liebe Trauergäste, wie kann man ein Leben wie das von Eduard („Eddi“) Stapel in wenigen Minuten würdigen?
Ich fange es politisch an: Ab morgen können schwule und lesbische Paare heiraten. Morgen ist der Tag, an dem Lesben und Schwule in Deutschland erstmals rechtlich völlig gleichgestellte Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden – nach Jahrhunderten der Unterdrückung, der Ausgrenzung, der Verfolgung, der Diffamierung als Dekadente, Kranke, Sünder oder Verbrecher.
Eddi hat unendlich viel dazu beitragen, dass der morgige Tag endlich Wirklichkeit werden kann. Und es ist so bitter, dass wir heute von ihm Abschied nehmen müssen. Ich bin sehr froh, dass Eddi immerhin den Beschluss des Bundestages zur Ehe für alle Ende Juni noch miterleben konnte. Ich will nicht unbescheiden sein, aber ohne den Lesben- und Schwulenverband (LSVD) wären dieser und viele andere Erfolge so nicht gekommen. Erfolge, die dazu führen, dass wir Lesben und Schwule heute so frei leben können wie noch nie zuvor in der Geschichte.Und Eddi, er hat den Stein dafür ins Rollen gebracht, war die treibende Kraft bei der Gründung des LSVD. Als unser Verband am 18. Februar 1990 in Leipzig noch als „Schwulenverband in der DDR“ (SVD) aus der Taufe gehoben wurde, wurde Eddi ganz selbstverständlich sein erster Sprecher und Geschäftsführer.
Ich habe Eddi im Frühjahr 1990 kennenge- lernt. Über seine Arbeit in der DDR kann ich nicht aus eigenem Erleben berichten. Ich habe aber aus vielen Gesprächen erfahren, wie Eddi in der DDR eine schwule Bürger- rechtsbewegung im Rahmen der evange- lischen Kirche aufbaute. Es gab natürlich noch weitere mutige Menschen. Aber Eddi war die Seele des Ganzen, der Dreh- und Angelpunkt.
1982 war er Mitbegründer des Arbeitskrei- ses Homosexualität der Evangelischen Stu- dentengemeinde Leipzig. 1983 gründete er den Arbeitskreis Homosexualität Magde- burg. Ab 1985 war er offiziell Angestellter
für Schwulen-Arbeit bei der Evangelischen Stadtmission Magdeburg. Pfarrer durfte der offen schwule Theologe Stapel aber nicht werden. Seine Kirche hatte ihm die Ordina- tion verweigert.
Von Magdeburg aus gelang ihm der Aufbau weiterer Gruppen. Am Ende der DDR gab es in 21 Städten kirchliche Arbeitskreise. Es war eine republikweite Bewegung für Eman- zipation und Bürgerrechte entstanden. Die Stasi sah in seiner Arbeit eine “feindliche Zielstellung”. Etwa 50 hauptamtliche und 200 inoffizielle Stasi-Spitzel waren auf die Arbeitskreise Homosexualität angesetzt.
In diesen Arbeitskreisen wurde diskutiert, Literatur gelesen, Wissen erarbeitet, wurden Forderungen entwickelt: nach Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, nach einer fairen Berichterstattung in den Medien, nach Res- pekt und Gleichberechtigung.
Vor allem aber haben diese Arbeitskreise vielen Menschen erstmals eine Freistatt geschaffen, einen Ort, wo sie einfach sein konnten, wie sie sind.
Eddi selbst meinte rückblickend, dass dies neben den politischen Erfolgen mit am meis- ten zählt. Er schrieb: „Zahlreiche Schwule, die die Veranstaltungen der Arbeitskreise und später der anderen Gruppen besucht haben, treten heute offen und selbstbewußt als Schwule auf und haben gelernt, ihr Leben zu gestalten.“
Eddi hat damit das Leben vieler Menschen verändert. Übrigens auch meines. Unsere erste Begegnung war im Frühjahr 1990 in Leipzig, bei einer Veranstaltung in der Evange- lischen Studentengemeinde. Ich war damals in der westdeutschen Schwulenbewegung aktiv und wollte mich nur mal umsehen.
Da waren vielleicht 60-70 Menschen im Raum, wir haben diskutiert und am Schluss hat Eddi mich einfach überrumpelt und gesagt: Wenn Dir unsere Forderungen gefallen, dann tritt doch dem SVD einfach bei. Und er hat mir öffentlich vor all den Leuten ein Aufnahmeformular in die Hand gedrückt. Was sollte ich anders machen? Ich habe unterschrieben. Und heute, 27 Jahren danach, bin ich immer noch aktiv dabei in Eddis Verband.
Es gibt viele, viele hundert bundesweite Verbände, Bundesvereinigungen und Inte- ressengruppen. Fast alles sind Verbände aus der alten Bundesrepublik und sie haben sich ab 1990 in den Osten ausgedehnt. Der Lesben- und Schwulenverband ist eine ganz große Ausnahme. Hier ist die Vereinigung andersrum gelaufen. Das zeigt die Kraft von Eddis Vision.
Es ist kaum zu fassen, wie viel er geschafft hat, mit welcher Disziplin und mit welcher Willenskraft er sich den schweren Krankhei- ten widersetzte, die ihn schon seit jungen Jahren und sein ganzes Leben lang verfolg- ten. Er wirkte deswegen oft sehr zerbrech- lich, aber er hatte ein Feuer in sich, das viele Menschen gewärmt hat.
Er konnte in Diskussionen mächtig auf den Putz hauen, aber eigentlich war Eddi ein Mann der leisen Töne, ein Mann des Argu- ments, der geduldigen Überzeugungsarbeit, oft mit feiner Ironie, gerne leicht spöttisch, nicht zuletzt gegenüber sich selbst.
Eddi war im guten Sinne respektlos. Nicht respektlos gegenüber anderen Menschen, ganz im Gegenteil, sondern respektlos vor vermeintlichen Autoritäten, respektlos gegen- über irgendeinem herrschenden Zeitgeist.
Er hat sich einfach von nichts und nieman- den einschüchtern lassen. Er hat sich nicht einschüchtern lassen von der Diktatur. Er hat sich auch von seiner Kirche nichts vorschrei- ben lassen. Er hat sich nicht blenden lassen von angeblich unumstößlichen Gewisshei- ten aus dem Westen. Und er hat bis zu sei- nem letzten Atemzug homophoben, rassis- tischen, antidemokratischen Hassparolen widersprochen.
Es war oft ein Leben gegen den Strom. Und gleichzeitig war Eddi unglaublich bodenstän- dig. Ich habe im politischen Geschäft kaum jemand kennengelernt, der so viel Bodenhaf- tung hatte wie er.
Eddi wurde als ein großer Bürgerrechtler zu Vorträgen in die USA eingeladen, er wurde vom Bundespräsidenten zum Gedankenaus- tausch empfangen, aber er hat sich mit der gleichen Ernsthaftigkeit darum gekümmert, dass bei einem Verbandstag die Stullen ordentlich geschmiert werden.
Es hat ihn oft fassungslos gemacht, wenn Menschen nicht für ihre Rechte und ihre Interessen einstanden, ihren Mitgliedsbei- trag säumig blieben, oder gar sagten, eine Mitgliedschaft sei ihnen zu teuer, obwohl sie nicht mehr nicht mehr kostete als 2 Bier im Monat. Da konnte er mächtig schimpfen. Das Protokoll unseres ersten Verbandstags aus 1990 vermerkt: „Eddi: Ich trinke auch gerne einen, aber erst, wenn ich meinen SVD-Bei- trag bezahlt habe.“ Ja, so war unser Eddi.
Bis 2006 war er im Bundesvorstand des LSVD aktiv, hat sich für gleiche Rechte, für die Bewahrung der demokratischen Impulse von 1989 und für eine konsequente Men- schenrechtspolitik eingesetzt, hartnäckig, zäh und beharrlich. Als er sich aus dem Bun-
desvorstand zurückziehen musste, wurde er einmütig zum Ehrenvorsitzenden des LSVD gewählt. Und er war unserem Landesver- band hier in Sachsen-Anhalt immer ein wert- voller Unterstützer und Ratgeber.
2003 erhielt er den Zivilcouragepreis des Ber- liner Christopher-Street-Days für seine Leis- tungen beim Aufbau einer bürgerrechtsori- entierten Lesben- und Schwulenbewegung in der DDR. Bereits 1996 hatte der damalige Bundespräsident Roman Herzog Eddi die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
Eddi schrieb einmal: “Der Umgang mit Lesben und Schwulen ist eine Frage der Demokratie; Antihomosexualität ist unde- mokratisch und grenzt eine Minderheit aus.“ Genauso ist es.
Mit Eduard Stapel aus Bismark in der Alt- mark verliert die schwul-lesbische Emanzi- pationsbewegung, verliert die Bürgerrechts- politik in ganz Deutschland eine prägende Persönlichkeit, die unendlich viel für unsere Demokratie geleistet hat.
Eddi, Du hast starke Fundamente gelegt. Gerade in diese Zeiten, in denen homophobe und generell menschenfeindliche Kräfte wie- der lautstärker werden, sind Deine Funda- mente uns Basis und Auftrag zugleich, nicht nachzulassen im Kampf für Demokratie, Vielfalt und Respekt.
Es ist so unsagbar schlimm, dass Du nun Deine Stimme nicht mehr erheben kannst.
Lieber Eddi, Du fehlst dieser Welt.
Günter Dworek
Mitglied im Bundesvorstand
Lesben- und Schwulenverband (LSVD)